Christopher Isherwood: Leb wohl, Berlin
In kleinen Episoden erzählt Isherwood aus seiner Zeit im Berlin Ende der 1920er bis Anfang der 1930er. Wieviel davon konkret autobiographisch ist und wieviel fiktional ist schwer zu deuten. Das Ganze hat Tagebuchcharakter.
Der Einstieg fiel mir etwas schwer und wurde erst erleichtert, als Sally Bowles auftritt. Die junge Kabarett-Künsterlin sucht nach einer Filmrolle, der sie scheinbar auf keinem Weg näher kommt. Sie bringt allerdings etwas Leben in die Welt des Hauptcharakters und die Dialoge sind unterhaltsam (die späteren Unterhaltungen mit Natalia Landauer können da nicht mithalten). Es ist nicht verwunderlich, dass die Abenteuer mit Sally als Vorlage für das Musical Cabaret und den späteren Film genutzt wurden.
Die Sally-Adventures machen aber nur einen Teil des Buchs aus. Man lernt außerdem die bitterarmen Nowaks kennen, dort insbesondere den charismatischen Herumtreiber Otto. Und man lernt außerdem die vermögenden Landauers kennen. Der Hauptcharakter gibt Englischunterricht für die leicht realitätsferne Tochter Natalia und trifft später öfters auf deren seltsamen Cousin Bernhard. Das Leben der Landauers unterscheidet sich deutlich von dem der anderen Charaktere des Buchs, auch wenn das Schicksal es mit ihnen ebenso wenig gut meint wie mit den meisten anderen.
Insgesamt wirkt das Buch bedrückend. Besonders die Lebensumstände der Nowaks erscheinen aus heutiger Sicht grausam. Das Schicksal der Landauers ist ebenso unerfreulich. Und auch Sally macht letztlich nicht den Eindruck, ihr Leben würde in die richtige Richtung laufen.
Dennoch vermittelt das Buch einen großartigen Eindruck vom Berlin vor der Machtergreifung. Man kann nur erahnen, wie intensiv diese Zeit in der Berliner Szene gewesen sein muss.
Die Edition der Büchergilde ist insgesamt empfehlenswert, da sie einige anschauliche Illustrationen von Christine Nippoldt enthält. Während des Lesens hatte ich zeitweise das Gefühl, sprachlich mit der Originalversion besser bedient gewesen zu sein (Goodbye to Berlin). Mir war manchmal nicht klar, welche Sprache an welcher Stelle wie vorgesehen war.